Der Athos - der heilige Berg mit dem Garten der Mutter
Gottes

Der dritte Finger von Chalkidike, der Halbinsel im Norden Griechenlands, ist
benannt nach dem heiligen Berg Athos, der
sich im Süden der altehrwürdigen Mönchsrepublik vom Meer steil in die
Höhe von 2037 Metern reckt. Wer diesen Berg kennt, ich stand auf ihm, weiß um den Zauber , der mit dem heiligen
Berg und den Klöstern, die zu seinem
Fuße über die Halbinsel Athos sich erstrecken, verbunden ist. Die
Mönchsrepublik umfasst 340 Quadratkilometer, bei 2200 Mönche leben heute dort
in 20 orthodoxen Klöstern, in losen Gruppen und in Einsiedeleien. Die
Geschichte der Mönche reicht bis in das 7.Jahrhundert zurück, als fromme
Einsiedler die Gegend um den heiligen Berg aufsuchten. Als erstes großes
Kloster wurde 963 die Große Lavra (Megisti Lavra) gegründet. Die byzantinischen
Kaiser förderten die Klöster, wodurch die Zahl der Priester bis auf 40.000
Priester anwuchs. Die Verfassung von 1783 der Klöstergemeinschaft gilt im
wesentlichen noch heute. Danach gibt es aus den Vertretern der Hauptklöster
einen Gesamtrat, der wieder vier Vertreter für die laufenden Geschäfte wählt.
1912 übernahm Griechenland das Patronat über den Athos, der schließlich 1926
zum griechischen Territorium erklärt wurde.
Weil
mich als alten katholischen
Klosterschüler und als Kulturwissenschafter die Mystik der orthodoxen
Klöster um den Berg Athos schon seit Jahren aus der Ferne gefangen nimmt,
machte ich mich im Vorjahr und jetzt im April wiederum für jeweils ein paar
Tage daran, die Klöster des heiligen
Berges aufzusuchen
In
diesen hat sich eine alte Kultur der mönchischen Frömmigkeit bewahrt, die wohl
einmalig für Europa ist, daher sollte man sie auch achten, auch wenn sich die
Mönchsrepublik schon seit über tausend Jahren strikte dagegen wehrt, dass Damen
ihren Fuß auf die Erde des Athos setzen. Erst vor ein paar Monaten hatten Damen
in der EU dafür gekämpft, dass auch sie den Athos betreten dürfen – im Sinne der
Gleichbehandlung der Geschlechter -, doch dieser kühne Vorstoß blieb ohne
Erfolg, da Griechenland seinen Betritt zur EG als Vorläufer der EU davon
abhängig gemacht hat, dass der Status der Mönchsrepublik unberührt bleibt.
Griechische Polizisten , die bei einigen , direkt am Meer liegenden Klöstern
ihre Stationen haben, achten mit ihren Schnellboten eifrig darauf, dass kein
Unberechtigter und vor allem keine
Frauen sich dem groben Sandstrand und den Felsen des Athos nähern.
Für
mich als Kulturwissenschafter hat diese Mönchsrepublik ihren besondern Zauber.
Es ist etwas kompliziert, eine Erlaubnis für den Besuch der Mönchsrepublik zu
erhalten. Einige Monate vorher half mir mein Freund Dr. Bernd Mader aus Graz,
ein entsprechendes Ansuchen an das Ministerium in Thesssaloniki zu richten. Nur
vier Tage, die auf der Halbinsel auf sechs, aber nicht mehr , verlängert werden
können, darf ein Pilgersmann auf der Halbinsel verbringen. Man hat die Tage
genau anzugeben, an denen man auf dem Athos sich aufhalten wolle, denn die
amtliche Vertretung des Athos in Uranopolis, der letzten Stadt vor der
Mönchsrepublik, gestattet pro Tag nur 10 „ungläubigen“ Katholiken, die über 18
Jahre alt sein müssen, den Zutritt in ihren heiligen Bereich. Bei dieser Stelle
erhält man die Aufenthaltsbewilligung für die angegebenen Tage. Dafür sind 30
Euro zu zahlen. Damit ist auch das Recht verbunden, in den Klöstern – manche
wollen eine vorherige Anmeldung – auf Pilgerart gelabt zu werden und nächtigen
zu dürfen.
Im
Vorjahr im April mietete ich mich mit
drei Freunden in Uranopolis, also vor der Mauer zur Mönchsrepublik, in einer
kleinen Pension ein. Ich schlief nur ein paar Stunden, gegen 5 Uhr früh erhob
ich mich von meinem Lager, marschierte mit meinem Rucksack zur Schiffsanlegestelle, denn auf dem Landweg ist
das geheiligte Territorium der Mönche nicht zu erreichen.
Ich
bestieg ein Schiff , das mit Holzfällern und Arbeitern, die bei den Mönchen ihr Brot verdienen, gegen
5 Uhr 30 ablegt. Zunächst jedoch zeigte ich einem Herrn der griechischen
Polizei meine Aufenthaltsgenehmigung. Einige Stunden brauchte das Schiff, es
legt bei mehreren Klöster an, bis es zur Station Hagia Anna gelangte. Dort verließ ich das Schiff, auf dem ich mit einigen freundlichen
Holzfällern mich scherzend und radebrechend über meine Herkunft und meine
Absichten unterhalten hatte. Nun marschierte ich über lange Steinstiegen vorbei an Häusern der
Mönche zu einem Höhenrücken. Ich wollte gleich
an meinem ersten Tag in der Mönchsrepublik
auf den Gipfel des Berges Athos, der, da man direkt vom Meer bis auf
über 2000 Meter Seehöhe wandert, dem
Bergsteiger einiges abverlangt. Nach ungefähr fünf Stunden ,die mich auch über
Schneefelder führten, stand ich am Gipfel des heiligen Berges. Hier , so heißt
es, ist der Sitz der Mutter Gottes, vielleicht mag im fernen Altertum dieser
Berg mit einer Muttergottheit in Verbindung gebracht worden sein. Ich stand
beim orthodoxen Kreuz, das aus dem felsigen Gipfel des Athos herauswächst. Diese Stunde am Athos um ca 15 Uhr Nachmittag
mit dem Blick auf die Ägäis gehört zu den schönsten und faszinierensten in
meinem Leben. Ich war alleine und kostete die Einsamkeit. Ich spürte die
Heiligkeit des Ortes, zu dem zu gelangen es Mühe bedurfte und der mit Gefahr
etwas zu tun hat, denn hier liegt harter Schnee und hier stauen sich die
Wolken. Ich hatte Glück, nur ein paar Wolkenfetzen störten meine Sicht. Ich
fühlte mich in der Nähe zur Ewigkeit und ich verstand die Mönche, die die Nähe
dieses Berges suchen, auch wenn sie ihn selbst kaum oder nur sehr selten betreten, meist im August, wenn hier oben die
Mutter Gottes geehrt wird. Beim Abstieg
genoss ich das Glück der Einsamkeit, einmal begegnete mir ein russischer Pilger,
der mich segnete.
Am
Abend langte ich im Kloster Hagia Anna ein. Hier bekam ich von dem für die
Pilger zuständigen Mönch ein bescheidenes Abendessen serviert , das aus einer Linsensuppe, Brot,
Oliven und ein Glas Wein bestand. Im Pilgerlager nächtigten bei 30 Leute, die
freilich nicht auf der Spitze des Berges gewesen sind. Ich lag neben einem
Griechen und einem Italiener. Am
nächsten Tag brachte mich das Schiff nach Norden. Von einer Anlegestelle
marschierte ich auf altem Pilgerweg hinüber zum Kloster Chilandari. Zunächst
begleitete mich ein serbischer, ungefähr zwei Meter großer Mönch, bei dessen
Anblick ich an die Theorie denken musste, nach der wilde serbische Kriegsmänner
hierher gezogen sind, vielleicht auf der Flucht oder auf der Suche nach
Erleuchtung. Ich traf meine drei österreichischen Mitpilger und setzte den Pilgermarsch
mit ihnen fort.
Heuer im April war ich gleich mit fünf Herren
aus Österreich, die ich vorher kaum kannte, unterwegs. Alle befinden sich in
meinem vorgerückten Alter, einige von ihnen sind bereits in Pension. Allen
fünfen gefiel die Insel mit ihren Mönchen, auch wenn keine Frauen zu sehen
waren. In jedem der Klöster, wie Zographou, Pantokrator und Xeropotamou, wurden
wir höflich von dem Mönch, der sich um die Pilger zu kümmern hat, begrüßt
und bewirtet, und uns ein Nachtlager,
das dem der alten Schihüttenlager bei uns entspricht, zugewiesen. Wir
marschierten jeden Tag bis zu 20 Kilometer auf alten steinigen Pilgerpfaden,
auf denen auch die Mönche mit ihren Mauleseln unterwegs waren. Hier und da fand
ich ein altes Hufeisen von einem Maulesel. Das Gehen als Pilger auf dieser
mönchischen Halbinsel durch Gestrüpp und auf abgetretenen Steinen hat etwas mit
Meditation zu tun, wie sie einem echten Pilger zusteht. Der Aufenthalt in den Klöster mit ihren
kostbaren Ikonen und Wandgemälden versetzt in eine alte Zeit europäischen
Mönchstums. In keinem der Klöster fand ich einen Spiegel, ein Symbol der
Eitelkeit, dem die Mönche ihre Absage erteilt haben. In den Klöstern wurde ich
mit einem anderen Zeitbegriff konfrontiert , denn täglich wurde die große Uhr des Klosters von einem
Mönch auf 12 Uhr gestellt. Damit beginnt der neue Tag. Der Gottesdienst, zu dem
ein Mönch auf einem dicken Holzbrett trommelnd ruft, zieht den echten Pilger in
die Kirche zu den dunklen, geheimnisvoll anmutenden Ritualen mit ihren vielen Kerzen.
Der
Besucher, der in einem der Gebetsstühlen sitzt, sinkt in sich zusammen, denkt
nach, wird schläfrig und seine Gedanken fliegen in andere Welten. Beim Abmarsch vom Kloster gibt es meist
nichts zu essen. Lediglich in unserem letzten Kloster, in Xeropotamou , wurde
uns um ca 8 Uhr (unsere Zeit, nicht die der Mönche) eine Art Mittagessen mit
köstlichen Beilagen zum Gemüseeintopf im Refektorium , dem Ort der Erholung und
des Speisens, vorgesetzt. Jedes dieser Refektorien auf der ganzen Insel besitzt
eine Art Kanzel, auf der bei feierlichen Mahlzeiten ein Mönch heilige
griechische Texte vorliest. Auch im
Kloster Esphigmenu kehrten wir auf unserem Marsch von Chilandari, einem
serbischen Kloster, ein. Esphigmenu hat wegen seiner Widerspenstigkeit gegenüber
dem Patriarchen von Konstantinopel, der den Dialog mit der katholischen Kirche
sucht, einige Berühmtheit erlangt hat. Die Mönche dieses Klosters sehen sich,
wie mir erzählt wurde, als die Vertreter der reinen orthodoxen Lehre.
Orthodoxia é Thanatos – Orthodoxie oder Tod – steht auch groß an der Front des
Klosters zum Meer hin. Wir wurden jedoch zu meiner Überraschung, obwohl man
wusste, dass wir Katholiken sind, höflichst und freundlichst mit köstlichem
Kaffee und süßem Kuchen gestärkt. Von dem Hass dieser Mönche gegenüber
Angehörigen anderer Religionen, wie ich in unseren Zeitungen lesen konnte,
spürte ich nichts.
Es
waren Tage des Marsches, ich ging viel alleine durch Büsche, ich verirrte mich
sogar, aber auch der freundschaftlichen Begegnung, wie sie Pilger an heiligen
Orten pflegen , die mein Herz weiteten,
die mich an der alten Kunst der frühen Mönche teilhaben ließen und die mir
zeigten, dass Leben mehr ist, als eitler Konsum und die Abhängigkeit von Autos
und kostbaren, ewig gleichen Hotelbetten.
Per pedes apostolorum – mit den Füßen der Aposteln – wandelt es sich auf
versteckten , überwachsenen Pfaden, die nicht jeder Besucher gleich findet,
heiter und man spürt eine Gottheit,
vielleicht den Gott Apoll, dem hier einmal ein Heiligtum errichtet war, oder
eben Maria, die hier auf dem Berg Athos, der von keiner Frau betreten werden
darf, ihren Garten hat.