21 - Religion
und Magie in der bäuerlichen Kultur
Einleitende
Überlegungen
Die
echte bäuerliche Welt ist voll der Religiosität, nämlich voll des Wissens, dass
ohne göttliches Zutun Getreide, Mensch und Tier nicht wachsen, gedeihen und
blühen können.
Der
bäuerliche Mensch sieht sich eingeordnet in den Gang des Universums, hinter dem
Gott sich befindet. Diesen muss man gnädig stimmen, um zu überleben. Daher
hielt man sich an die Gebote Gottes und der Kirche. Davon versprach man sich
eine gute Ernte und ein gesundes Leben. Daher gehört es zum echten bäuerlichen
Leben, dass man regelmäßig zum Sonntagsgottesdienst geht, in dem Gott und die
Heiligen um Schutz und Wohlwollen angefleht werden. Man benötigte die Hilfe des Himmels, um gut
zu überleben. An die Stelle des Gebetes ist heute bisweilen die Hilfesuche im
Computer getreten, der dem Bauern hilft, zu guten Förderungen und
leistungsfähigen Maschinen zu gelangen.
Alte religiöse Bräuche sind demnach „evolutionär“ modernen Techniken
vorgeordnet. Dennoch haben sich eine Reihe alter magischer und religiöser
Rituale und Feste erhalten, die weiterhin dazu dienen, dem Menschen nicht bloß religiöse
Gefühle zu vermitteln, sondern ihnen auch Abwechslung im Alltag in oft heiterer
Weise verschaffen. Auf all dies wird nun einzugehen sein.
Religiöse
Rituale im bäuerlichen Leben - die Bedeutung der Hochzeit
Durch
die Kirche wurden die wichtigen Ereignisse, die bestimmend für die bäuerliche
Welt sind, abgesegnet. Dazu gehörten
Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse.
Eine
große Bedeutung hatten die Hochzeiten, denn die bäuerlichen Eheleute waren eine
echte Arbeitsgemeinschaft, die für die Existenz des Bauernhofes von großer
Wichtigkeit war. Dazu gehörte eben der Segen Gottes. War einmal jemand
verheiratet, so blieb er es auch, denn dies ist im Sinne der heiligen Ordnung. Es war in der echten bäuerlichen Kultur so gut wie unvorstellbar, dass die
verheirateten Bauersleute sich scheiden ließen. Eine Scheidung hätte Unordnung
und große Probleme für alle gebracht.
Bäuerliche
Ehen haben also Bestand. So ist es in Siebenbürgen heute noch.
Allerdings waren es nicht immer
Liebensheiraten bei den Bauern, schließlich brauchte der Bauer eine Frau, die
gescheit und umsichtig war, hart anzupacken wusste und Kinder gebar, denn der
Hof musste weitergegeben werden. Die Bauersleute wussten, sie sind nur für eine
Zeit Verwalter des Hofes.
Ich
sprach mit einem früheren Bauern über das Heiraten. Er erzählte mir heiter
dies:
„Meist
haben die Bauern ein reiches Bauernmensch, bei dem Geld war, geheiratet. Früher
gab es Heiratsvermittler, die von Hof zu Hof gegangen sind. Die kannten
sich gut aus. Man hat sie Bidler genannt, weil sie zwei zusammen gebidelt (vielleicht von
binden) haben. Die haben ein Geld dafür bekommen.
Der ,der einen Bauernhof gehabt hat, der hat sich leicht getan, der ist
vielleicht zu einem anderen Bauern gegangen und hat gesagt: `Du, wie schaut es
aus, ich hätte gerne deinige Tochter. Die gefällt mir`. Der Bauer wird vielleicht gesagt haben: ´Na freilich,
du warst mir recht. Du hast ja Besitz´. Besitz, das war ja etwas. Die andern waren eh alle nichts. Der hat
natürlich die bekommen, die er haben hat wollen. Der Bidler, der Heiratsvermittler, war
wichtig, wenn eine recht überstandig war, die sie nicht recht mögen haben. Und wenn noch wo so ein Wittib (Wittwer)
gegeben hat, so hat man die beiden zusammengebidelt“.
Wenn
es Spannungen zwischen den Bauersleuten hier und da gab, so schaute man, dass
diese schnell beseitigt wurden, denn die Arbeit am Hof und auf dem Feld musste
getan werden. Jedenfalls war die Ehe
durch Gott gesegnet und daher auch nicht auflösbar, was aber nicht heißt, dass
man sich streng an eheliche Treuegebote hielt. Man sprach einfach nicht
darüber, wenn Bauer oder Bäuerin das Gebot der Treue großzügig auslegten.
Religiöse Feste und Fröhlichkeit
Die echte und alte
bäuerliche Kultur war eine harte Kultur, sie kannte keinen Urlaub im modernen
Sinn, sie kannte nur ein Freisein von Arbeit, denn wenn Arbeit anfiel, so
musste sie getan werden. Allerdings waren für die alten Bauern zumindest bei
uns in Österreich eine Vielzahl von Feiertagen und Bauernfeiertagen typisch, an
denen nur das Notwendigste im Stall, wie das Melken der Kühe, im Haus, wie die
Bereitung der Mahlzeiten, oder am Hof, wie das Verscheuchen der Hühner aus dem
Garten, getan wurde – und auch noch wird.
Die vielen
Bauernfeiertage , in Barockzeitalter soll es bei uns bis 15O solcher freien
Tage im Jahr gegeben haben , waren ein willkommener Ausgleich zur Last des Alltags.
Sie ersetzten den Urlaub, denn an ihnen konnten
Knechte, Mägde und Holzknechte
sich von ihrer schweren Arbeit "zwischendurch" erholen.
Der Begriff des Urlaubes als eine Zeit, in der
man in andere Länder fährt, um sich vom Alltag zu erholen, war den alten
Bauern bei uns und ist den landlerischen Bauern in Siebenbürgen heute noch
fremd. Dazu erzählte mir eine alte
Bäuerin aus Oberösterreich, die als Bauerntochter aufwuchs: „Wir, mein Mann und
ich, haben nie einen Urlaub gemacht. Wir waren auch nie gemeinsam länger weg.
Früher haben sich die Leute auch gut unterhalten, wenn sie nicht weg gefahren
sind. Man ist am Feiertag zu anderen Bauern gegangen und hat sich Geschichten
erzählt oder man hat gemeinsam gesungen“.
Ähnlich ist es bei den
Landlern, den aus Österreich stammenden Bauern in Siebenbürgen, heute noch. Man
trifft sich an den Feiertagen gerne bei den Freunden der Nachbarschaft. An
bestimmten Tagen der Woche gegen Abend ist es ein großes Zimmer im alten
Gemeinschaftshaus von Großpold, das dazu dient, um sich im Singen vor allem für
die Kirche zu üben. Ich nahm einige Male an solchen Runden teil. Früher trafen sich Männer und Frauen an verschiedenen
Tagen getrennt. Jetzt jedoch, da schon
viele Landler und Sachsen ihrem Heimatdorf den Rücken gekehrt haben und vor
allem nach Deutschland ausgewandert sind, üben Frauen und Männer sich gemeinsam
am Dienstagabend im Gesang. Für
gewöhnlich leitet einer der Bauern, bei meinen Besuchen war dies Andreas
Pitter, das Beisammensein.
Um einen langen Tisch, an dessen
Schmalseite Herr Pitter präsidiert, sitzen die Sangesfreudigen. Der erste Teil
des Abends, der diesem überhaupt die Rechtfertigung gibt, gilt dem Proben der
im kommenden sonntäglichen oder feiertäglichen Gottesdienste zu singenden religiösen
Lieder. Immer wieder werden die Strophen wiederholt, um Schönes anbieten zu
können. Man gibt sich Mühe und singt mit vollem Herzen. Nach ungefähr zwei
Stunden wird diese ernste Art der Freizeitgestaltung beendet und man geht zum
heiteren Teil über. Nun wird Wein, den einige der Herren von zuhause
mitgenommen haben , in Gläsern kredenzt und alte deutsche Volkslieder , wie
„Hoch auf dem gelben Wagen“ oder „Wohlauf die Luft geht frisch und rein“,werden
gesungen. Man scherzt dabei, trinkt Wein und isst dazu Bäckereien oder bloß
Brot. Man weiß also sehr wohl zu
feiern, auch im Alltag, der hart erscheint, aber gewisse Phasen kennt, wie das
gemeinsame zunächst religiöse Singen, die auch der Erholung und dem Scherz
dienen.
Weihnachten und Weihrauch
Die bäuerliche Gemeinschaft
kannte das gemeinsame Feiern ebenso wie das gemeinsame
Durchführen diverser "heidnischer" Bräuche bei uns, so das Gehen mit
dem Weihrauch zu Weihnachten, zur Jahreswende und zu Dreikönig durch Haus und
Stall. Heute gibt es diese Bräuche noch, aber es fehlt an Knechten und Mägden,
die den Bauern dabei begleiten.
Ein früherer
Bauernknecht erinnert sich an das gemeinsame Weihnachtsfest bei einem Bauern um
1955. Auch hier ist es die Bescheidenheit, die das Fest adelt: "Den
Heiligen Abend verbrachte ich beim Bauern. Meine Eltern suchte ich erst am Christtag auf. Der Bauer wollte, dass wir
alle gemeinsam feiern, die Bauern mit uns Dienstboten. Bei der Bescherung erhielten wir alle eine Kleinigkeit, entweder
ein Paar Schafwollsocken oder sonst etwas. Die besseren Knechte erhielten manchmal auch einen
Anzug zum Kirchengehen oder genagelte Schuhe."
Kirchtage
und Wallfahrten – der Kontakt zu den
Mädchen
Die
alte bäuerliche Welt war nicht bloß Welt der Langeweile und der braven
Unterordnung, sondern auch eine des Feierns, des Witzes, der wilden
Fröhlichkeit aber auch der verbotenen Lust – stets verbunden mit religiösen
Festen, wie Ostern, Weihnachten, Hochzeiten, den Kirchtagen u.ä. An manchen Tagen, bei gewissen Festen und
am Abend im Gasthaus ging es heiter, aber bisweilen auch wild zu. Besonders
eindrucksvoll hat das festliche bäuerliche Leben Pieter Breughel in seinen
Bildern am Beginn des 16. Jahrhunderts
eingefangen. Auf diesen sieht man betrunkene Bauern mit prallbusigen Mägden
sich im Kreis drehen. Es wird aus vollen Kannen getrunken und man langt
ordentlich zu.
Heiteres Leben herrschte
und herrscht an den Kirchtagen, also an den Tagen, an denen zur Erinnerung der
Weihe der Ortskirche religiöse Feste gefeiert werden, mit denen sich allerhand
Lustbarkeiten verbinden. Dorthin zogen und ziehen bäuerlichen Leute, die Bauernburschen, die Holzknechte, die Mädchen und anderes
Volk.
Zu den Möglichkeiten
für Burschen, mit Mädchen ins Gespräch zu kommen, gehörten die Besuche
religiöser Veranstaltungen, wie der Maiandachten, der Marsch zur Kirche und
Wallfahrten. Ein alter Holzknecht
erzählte mir, die Gatterburgkapelle, eine Kapelle in der Nähe von Spital am
Pyhrn, zu der die jungen Leute zogen, um angeblich dort zu beten, sei geradezu
eine Zeugungsanstalt gewesen. Dort fanden sich mitunter Burschen und Mädchen
ein, nicht nur wegen des Gebetes, sondern auch wegen der Liebeslust.
Das Pfingstfest bei den
Bauern in Siebenbürgen
Bei den
landlerischen Bauern in Siebenbürgen, soweit sie noch nicht ausgewandert sind, ist
es vor allem das Pfingstfest, das Fest
des Heiligen Geistes, welches in besonderer Weise gefeiert wird und bei dem es mitunter
ausgelassen zugeht. Ich erlebte das Pfingstfest einige Male in Großpold. Das Pfingstfest
dort ist ein ausgesprochen bäuerliches Fest. Es begann – vor der Auswanderung
der jungen Leute - damit, dass
die jungen Männer gemeinsam mit
einem Pferdewagen in den Wald fahren, um
junge Birkenbäume, Symbole des
erwachenden Jahres, aus diesem zu holen. Bei
diesem Pfingstfest wurde in früheren Zeiten
den Mädchen aufgespielt. Diese
Kontaktnahme war ritualisiert. Die Burschen brachten Bäume in den Hof und das
in diesem wohnende Mädchen oder die in diesem wohnenden Mädchen servierte oder servierten
Brötchen und guten Wein.
Dabei ergaben sich treffliche Gelegenheiten für den Burschen, sich zunächst im Scherz dem
auserwählten Mädchen zu nähern. Dieses
Pfingstfest in der alten Form gibt es wohl nicht mehr,
aber dennoch wird es ähnlich gefeiert wie früher, und zwar von den
jungen Ausgewanderten, die sich in
Grospold zu Pfingsten ein Stelldichein geben.
Litaneien
und fromme Sprüche
Frömmigkeit
bestimmte das bäuerliche Leben, in dem viel gebetet wurde, zu Mittag, am Abend,
bei Bittprozessionen und in der Kirche. Besonders beliebt warn die Litaneien,
in denen um alles mögliche gebetet wurde, wie um reiche Ernte, Schutz vor
Gewitter und eine gute Ehe, und in denen
jede Bitte an Gott und die Heiligen mit dem Satz „Bitt für uns“ abgerundet
wurde.
Bei
den Landlern in Siebenbürgen als wahre Protestanten fehlen zwar viele Rituale,
aber auch für sie ist das religiöse Leben, zu dem wesentlich der Pfarrer
gehört, wichtig. Fromme Sprüche im Haus erinnern – anstelle des Kruzifixes bei
uns - an die Allgegenwart Gottes und die Pflicht , sich an seine Gebote zu
halten.
Der
Umgang mit dem Tod – Begräbnis und
„Leichenschmaus“
Die
besondere Religiosität der Bauern zeigt sich schließlich beim Begräbnis.
Der Umgang mit dem
Sterbenden gehörte und gehört zum Leben am Bauernhof. Typisch für
die alte bäuerliche Kultur bei uns war es
, in Siebenbürgen ist es heute noch so, dass die Sterbenden
grundsätzlich nicht in die Krankenhäuser verbannt werden und dass die Toten,
die heute in die Aufbahrungshallen abgeschoben werden, nicht den Lebenden
entzogen werden. Starb jemand im Haus bei uns im Gebirge, so wurde nicht nur
der Doktor und der Pfarrer benachrichtigt, sondern einer aus der Familie trat
auch den Weg zum Tischler, der auch Bestatter
war, an. Dieser ging in das Haus des Toten und nahm an ihm für den Sarg
Maß.
Man bahrte den Toten
drei Tage auf, meist in der guten Stube, aber auch im Schlafzimmer ,bevor man
ihn zur ewigen Ruhe auf den Friedhof brachte. Die Lebenden
mußten sich also drei Tage noch mit den Toten auseinandersetzen. Man
betete an jedem der drei Tage jeweils am Abend gemeinsam mit Freunden und
Nachbarn in Anwesenheit des im Bett
manchmal vielleicht auch schon im Sarg
aufgebahrt liegenden Toten, sang Trauerlieder, aß nachher ein Stück Brot
und trank dazu ein Glas Most, oder auch mehrere Gläser.
Man traf sich also beim
Toten und fand offensichtlich nichts dabei, ordentlich zu trinken. Nach
Erzählungen sollen manche Besucher dabei zu viel getrunken haben und dann
"besoffen" gewesen sein, was
von den Trauernden jedoch nicht immer akzeptiert wurde. Eine alte Bäuerin fügte
sogar hinzu: "Oft ist mehr gesoffen worden als
gebetet."
Manche Bauernburschen
sollen nur wegen der Menscher (Mädchen) gekommen sein. Jedenfalls gehörte und
gehört die Aufbahrung der bäuerlichen
Toten zu einer uralten Kultur.
Darüber, wie der Tote
oder die Tote aufgebahrt wurde, erfuhr ich von einem Bauernsohn noch dieses: "Meine
Großmutter ist noch aufgebahrt worden, das war 1949. Im Stübl ist die
Tote gelegen. Im Sonntagsgewand und mit der Flügelhaube ist sie drinnen
gelegen. Drei Abende ist fest gebetet worden". Ergänzend dazu schildert
ein Bauer: "Beim Aufbahren des Toten in der schöneren Stube sind die
beweglichen Möbel, der Tisch und die Sesseln, hinausgetragen worden. Die Bank
und der Kasten sind drinnen geblieben. Auf d'Nacht ist dann gebetet worden. Aus
hygienischen Gründen ist später das Aufbahren zu hause verboten worden. Nach den drei Tagen der Aufbahrung ist der
oder die Tote mit den Füßen voran hinausgetragen worden. An der Schwelle wurden
drei Kreuze mit dem Sarg gemacht. Das ist alles sehr ernst genommen worden".
Aber noch etwas ist wichtig, wie eine Bäuerin dartut: "Es heißt, wenn der Tote vom Haus weggebracht worden ist, daß
man das Bett, in dem einer gestorben ist, sofort abziehen und verrücken muß. Tut man das nicht, so stirbt
bald einer vom Haus.“ Magie beherrscht
den Totenkult. Nach der Aufbahrung des Toten mußte sofort der vorige Zustand
hergestellt werden, beziehungsweise die Position des Bettes durfte nicht mehr
an den Toten erinnern, daher "verrückte" man es in magischer Weise.
Bei manchen Bauern
teilte man es noch den Tieren im Stall und vor allem den Bienen mit, dass
jemand aus der Bauernfamilie nun zum Friedhof getragen werde.
Eine tiefe Symbolik lag
in dem allen, sie zeigte an , dass der Tote direkt aus seiner alten Welt ohne Umweg über das Krankenhaus und eine
sterile Aufbahrungshalle in eine andere gebracht wurde. Man war
eigentlich als Anverwandter dauernd bis zur Grablegung mit dem Toten in engem
Kontakt.
Ich sprach darüber mit
dem heutigen Leichenbestatter , der ebenso wie seine Vorgänger ein
Tischler ist. Er meinte, wenn heute jemand im Haus stirbt, dann würden die
Anverwandten darauf achten, dass der Tote sofort von ihm, dem Leichenbestatter,
aus dem Haus gebracht werde. Man sei froh, mit dem Toten nichts mehr zu tun zu
haben und ihn nicht mehr aufbahren zu müssen. Er als Bestatter jedoch ,wie
er mir versicherte, fordere die Angehörigen auf, den Toten noch einige Stunden
bei sich im Haus zu behalten und bei ihm zu beten. Er selbst würde
mitbeten.
Mit dem Ritual der
Aufbahrung , wie ich sie noch in Siebenbürgen finde, verbindet sich tiefe
Frömmigkeit, für die Leben und Tod eins zu sein scheint. Die bäuerliche Kultur
mit ihrer frommen Begegnung des Todes unterscheidet sich damit wesentlich von
modernen Kulturen, in denen der Tote hinausgedrängt wurde aus dem Alltag des Menschen in die Leichenhallen
der Krankenhäuser und Friedhöfe. Die Frömmigkeit des Menschen war also eng mit
dem Tod verknüpft. Der Tote wurde nicht von den Lebenden ferngehalten, sogar
die Kinder traten in Kontakt mit dem Toten. Sie lernten so den Tod als
selbstverständlich begreifen. Der Tote wurde nicht den Lebenden entzogen, er
blieb bis zur Beerdigung in seinem Haus bei seinen Verwandten, Nachbarn und
Freunden, die es als natürlich empfanden, in seiner Anwesenheit zu essen und zu
trinken. Most und Brot standen neben dem offenen Sarg und man langte tüchtig
zu. Hier wird der Unterschied zu den modernen, rationalen und angeblich
hygienischen Praktiken deutlich, die den Toten in die Gefrierboxen der
Kühlräume der Krankenhäuser verbannen. Es haben sich eventuell neue Formen der
Frömmigkeit entwickelt, jedoch die alte Frömmigkeit, für die der Tod stets anwesend
war und die den Tod nicht verdrängen wollte, verschwand grundsätzlich.
Eine Scheu vor dem Toten kennen die echten die Bauern nicht,
man will ihn daher vor der Beerdigung nicht alleine lassen, er gehört weiter
zur Gemeinschaft.
Der an das Begräbnis anschließende
Leichenschmaus, wie man diese Zusammenkunft bei uns im Gebirge nennt und bei
dem es zumeist Rindfleisch mit Semmelkren gibt, wandelte sich oft ins Heitere
und man gedachte mit heiteren Wort des Toten. In Siebenbürgen bei den Landlern
ist es das „Tränenbrot“, zu dem die Verwandten und engen Freunde des Toten
eingeladen werden und welches auf einem schön gedeckten Tisch im Hof des
Trauerhauses stattfindet. Traditionell
sind es Hühner , die von den Frauen für die Suppe und den Hauptgang zubereitet
werden. Dazu gibt es guten Wein. Die Grabmacher, also jene Freunde, die das
Grab schaufelten, erhalten einen Eimer Wein, der im Nachbarschaftskrug ihnen
überreicht wird. Auch das Tränenbrot bringt die Leute bei freundlichem Gespräch
zusammen und bereitet auf den künftigen Alltag ohne den Toten vor, der am
Freidhof auf eine „fröhliche Wiederauferstehung“, die der Pfarrer wörtlich dem
Toten wünscht, wartet.
Der Tod gehört bei
den Bauern zum Leben, er wird nicht verdrängt,
denn er garantierte den Übergang in ein "anderes Leben".
Der Forscher als Totengräber
Im
Juni 2005, als ich wiederum in Großpold war, starb ein Bauer, Sam Roth hieß er.
Nun fehlte es an den jungen Leuten, die für Grab und Begräbnis zuständig sind,
denn diese sind ausgewandert und leben irgendwo in Deutschland. So wurden wir
gefragt, ob wir nicht beim Grabschaufeln helfen könnten. Mit zwei Studenten,
Konrad und Reinhard, ging ich nun daran, die Erde des Grabes im Freidhof, wie
man hier den Friedhof nennt, auszuheben. Unter der Anleitung und Mitarbeit von
Andreas Sonnleitner, einem Landler um die 64 Jahre alt, begannen wir zu graben. Mit vier waagrechten
Brettern, die sich gegenseitig stützen, wurde das Grab , in dem ein Mitglied
der Familie Roth bereits 1917 begraben worden war, abgesichert. Abwechselnd
gruben wir. Da ich ausgebildeter Urgeschichtler mit Grabungserfahrung bin,
hatte ich keine Probleme beim Graben. Der letzte, der in die Grube stieg, war
ich. Das Grab war bereits einen Meter achtzig tief. Eine Leiter wurde in das
Grab gestellt, sie gab mir die Sicherheit, wieder herauszukommen. Ich fand noch
einen Nagel vom letzten Sarg. Ich hob ihn auf, er ist heute in meiner Vitrine
in meiner Wiener Wohnung zu sehen. Auf Geheiß von Andreas Sonnleitner, der
selbst nicht in das Grab stieg, weil er an Platzangst leidet, wie er erzählte,
glättete ich die Wände und den Boden des Grabes. Als ich dann aus dem Grab
steigen wollte, fehlte die Leiter. Mein Student Konrad hatte sie aus Scherz aus
dem Grab genommen. Ich bat höflich um die Leiter. Sie wurde wieder in das Grab
gestellt, so konnte ich aus dem Grab in das Licht des Friedhofes steigen. Wir, die Grabmacher, wurden nach
alter Tradition zu einer heißen Suppe und einem Schluck Wein in die
Friedhofshütte gebeten. Am Nachmittag suchten wir feierlich gekleidet die gute
Stube des Bauernhauses der Familie Roth auf. Die Angehörigen saßen um den Sarg.
Hinter ihnen nahmen wir, die Sargträger, Platz. Der Kirchenvater erschien und
sagte in landlerischem Dialekt : „Grüss enk Gott, wir holen jetzt unsern liaben
Bruader Sam zum Freidhof“. Die Angehörigen verließen die Stube. Wir, die
Studenten und ich, trugen den Sarg in den Hof, wo schon der Pfarrer und die
Sänger warten. Nach Gebet und Gesang zogen wir zum Friedhof. Dort war es unsere
Aufgabe als Sargträger, den Sarg auf Seilen in das Grab zu lassen. Der Pfarrer
wünschte nach einigen Gebeten eine „fröhliche Wiederauferstehung“. Dann ging es
zum so genannten „Tränenbrot“ in das Haus der Roths. Die Familie, die Freunde
und die Nachbarn, einige waren aus Deutschland gekommen, nahmen nun beim
gemeinsamen Mahl, bei dem Hühnersuppe und guter Wein kredenzt wurd, Abschied
vom Toten. Die kleine Welt des Dorfes hatte sich verändert. Auch für uns
Grabmacher war gedeckt. Wir tranken zur Erinnerungen an den toten Bauern, der
allen im Dorf abgehen wird, guten Großpoldner Wein.
Das
Ritual am Friedhof ändert sich nun. Es werden Rumänen gebeten, beim
Grabschaufeln zu helfen. Früher wäre dies nicht denkbar gewesen. Das erste Mal
wurde im Jahre 2005 am deutschen Freidhof ein Rumäne, der mit einer Sächsin
verheiratet war, begraben. Ich war beim Begräbnis anwesend. Der Pfarrer sprach
in Deutsch und Rumänisch. Eine alte
Kultur wandelt sich.
Die Bauernregeln
Auf
ein archaisch religiös-magisches Erbe zeigt sich bei den Bauernregeln. Sie erinnern an die alten Orakel
und Göttersprüche, bei denen der Eintritt eines bestimmten Ereignisses von
einem anderen geradezu magisch abhängt.
Die alten Orakel waren daher meist in „Wenn“-form gehalten, wie : „Wenn
du den Rubikon überschreitest, wirst du ein großes Reich zerstören“. Ähnlich ist es bei den Bauernregeln, in denen
es zum Beispiel heißt: „Weihnachten im Klee , Ostern im Schnee“. Also, wenn(!)
zu Weihnachten schönes warmes Wetter ist, ist es zu Ostern kalt, es fällt der
Schnee.
Das
Anbrauchen –
Zaubersprüche
Wenn
das Vieh krank war, glaubten die alten Bauern, es durch „Anbrauchen“ oder
„Wenden“ heilen zu können. Bei diesem Anbrauchen oder Wenden wurden
geheimnisvolle Rituale und Zauberformeln eingesetzt. Die bereits zitierten
„Merseburger Zaubersprüche“ gehören zu diesen magischen Formeln, die gesprochen
werden, um Tiere zu heilen. Mit dem Anbrauchen ist also wohl eine uralte
Geschichte verbunden. Eine alte Bäuerin erzählte mir: „Wenn bei uns das Vieh
krank gewesen ist, hat die Franzi, die alte Sennerin, angebraucht. Sie hat uns
aber nicht verraten, wie sie es gemacht hat. Wir haben aber gesehen, dass sie
zum Beispiel ein Schüpperl Haare von der kranken Kuh ausgerissen und unter die
Dachtraufe gegeben hat. Dabei hat sie etwas gesprochen, das wir nicht gehört
haben …“.
Auch
mein Freund Erwin Degelsegger weiß von diesem Anbrauchen, um das Vieh zu
heilen. Er erzählt: „Meine Großmutter hat immer angebraucht. Die hat das
können.“ Als ich Erwin frage, ob er mir sagen könne, wie die Großmutter
angebraucht habe, lächelt er schelmisch und meint bloß: „Das sage ich nicht!“
Die beim Anbrauchen verwendeten Sprüche und Rituale sind Geheimnisse, offenbar
bis heute. Als ich Erwin fragte, ob das Anbrauchen seiner Großmutter auch etwas
genutzt habe, antwortete er lächelnd: „Ja, freilich!“ Aber wie das ganze Ritual
des Anbrauchens seiner Großmutter aussah, wollte er mir nicht mitteilen. Er
deutet lediglich an, dass zum Beispiel ein Ochse, der nicht gehen wollte, durch
das Anbrauchen nach ein paar Tagen wieder in das Fuhrwerk eingespannt werden
konnte. Als ich meine, es würde sich dabei um Zaubereien handeln, entgegnet er
geheimnisvoll: „Das ist keine Zauberei, sondern Tatsache.“ Erwin bleibt
standhaft, er weiß sein Geheimnis zu wahren. Das imponiert mir. Erwin erzählt
noch weiter über das Anbrauchen: „Auch ich konnte anbrauchen, ich habe es von
meiner Großmutter gelernt. Wenn zum Beispiel so ein Vieh ganz weiß im Auge
gewesen ist, habe ich angebraucht. Nach drei, vier Tagen konnte das Vieh wieder
sehen. Oder wenn die Kugel aus dem Gelenk gegangen ist, wenn es sich verspießt
hat, hat man angebraucht. In ein paar Tagen ist das Vieh wieder gegangen. Wenn
heute das Vieh so etwas hat, kommt es zum Fleischhacker. Meine Tochter Gaby hat
als Baby einen Nabelbruch gehabt, der Doktor hat gesagt, erst mit zwei Jahren
kann man das operieren. Der Hotzen, ein Bauer, ist gekommen und hat
angebraucht. Der Nabelbruch ist ohne Operieren zurückgegangen.“
Über
das Anbrauchen und ähnliche Heilmethoden sprach ich auch mit Frau Ida Bankler,
einer Bäuerin aus St. Pankraz. Sie erzählt mir: „Mein Vater hat Warzen
angebraucht. Die Bauern haben ihn geholt, wenn eine Kuh am Euter Warzen hatte.
Er hat den Kühen und Kalbinnen über den Rücken gestrichen und hat etwas gebetet
dazu. Was er gebetet hat, das hat er niemanden erzählt. Er hat gesagt, wenn er
den Spruch weiter sagt, hilft er nicht mehr. Die Warzen sind daraufhin nach
einiger Zeit ohne zu bluten abgefallen. Der Großvater hat mehr gewusst, er
konnte auch Beineinrichten. Wenn sich ein Viech auf der Weide einen Fuß
verstaucht oder verrenkt hat, so konnte er ihn noch einrichten. Dafür hat er
eine Salbe gemacht. Von der weiß ich aber kein Rezept. Er hat nichts
aufgeschrieben. Es war eine schwarze Schmier, die hat er auf ein Pflaster geschmiert.
Ein blauer Lehm, der war auch gut für Gelenksverletzungen und Verstauchungen,
auch für Menschen. Den blauen Lehm hat man mit einem warmen Essig zu einem Teig
gemacht. Diesen hat man dann auf einen Leinenfetzen gegeben und diesen hat man
dem Vieh aufgelegt. Diesen blauen Lehm gibt es nicht überall, in der Pießling
gibt es ihn.“
Zum
Anbrauchen erzählt Frau Bankler noch: „Zum Anbrauchen von Warzen hat mein Vater
nur das Geburtsdatum und den Namen gebraucht. Mein Mann kann das auch. Bei
abnehmendem Mond, an einem Freitag am Nachmittag kann man Warzen anbrauchen.
Manche Warzen gehen schnell weg, manche langsamer. Aber es wirkt, auch bei den
Menschen. Viel mehr weiß ich nicht mehr. Mein Großvater hat viel gewusst, aber
er hat es niemandem erzählt. Er hat nichts aufgeschrieben. Ich habe
nachgeschaut, aber nichts gefunden.“
In
einem alten Heft der Zeitschrift „Das Waldviertel“ aus dem Jahre 1979 las ich
auf Seite 25 einen aus der Feder von Herrn Franz Seibezeder stammenden Aufsatz
mit dem Titel „Das Wenden“. In diesem fand ich allerdings eine genaue
Beschreibung eines Vorganges des Wendens oder Anbrauchens. Der Autor schreibt:
„… In meiner Jugendzeit verbrachte ich öfters einige Wochen meiner Schulferien
bei der Schwester meines Vaters, Frau Marie Bauer, Landwirtin in Zettenreith.
Meine Tante war weit und breit als Wenderin bekannt und wegen ihrer –
unbestreitbar zugegebenen – Erfolge auch viel gefragt. Ich bekam im Alter von
acht Jahren direkt am Knöchel meines rechten Fußes eine Warze, die immer größer
und größer wurde, derart, dass ich an diesem Fuß wegen unerträglicher
Schmerzen, kaum mehr einen Schuh anziehen konnte. Meine Tante fragte mich nun,
ob sie mich – falls ich fest daran glaube – durch Wenden von der Warze befreien
solle. Ich dachte mir: hilft es nicht, schadet es nicht und sagte (innerlich
etwas skeptisch) nach außen freudig ja. Von diesem Zeitpunkt an war ich der
ausgesprochene Liebling meiner Tante. Meine Tante machte nun in einen weißen
Zwirnfaden über der Warze einen Knopf und sprach dabei folgenden Wendspruch:
Was ich anschau, soll größer werden.
Was ich angreif, soll kleiner werden.
Zwirnfaden flieg weg.
Und Warze geh auch weg.
Dazu helfe Gott der Vater.
Dazu helfe Gott der Sohn.
Dazu helfe Gott der heilige Geist!
Dann
musste ich drei Vaterunser für den heiligen Wendelin und auch für den heiligen
Leonhard laut sprechen und während des Betens gingen wir zur Dachtraufe unter
der der Zwirnfaden vergraben wurde. Keinesfalls durfte ich – nach ihrer
ausdrücklichen Weisung das Wort ‚AMEN’ im Gebet verwenden, weil sonst der ganze
Vorgang des Wendens nutzlos gewesen wäre. (Amen bedeutet beim Vorgang des
Wendens ‚das Ende’ also den Tod)! Nun erklärte mir meine Tante, dass mit dem
Verfaulen des Zwirnfadens im gleichen Zeitraum die Größe der Warze zurückgehen
werden und, wenn vom Zwirnfaden nichts mehr vorhanden ist, auch die Warze
verschwunden sein wird. Jetzt muß ich ehrlich sagen, so war es auch! Nach etwa
drei bis vier Monaten war die Warze auf unerklärliche Weise weg. Ich grub dann
unter der Dachtraufe nach – auch vom Zwirnfaden fand ich keine Spur mehr
Wer
nicht daran glaubt, soll über diese Volksmedizin lächeln – ich glaube seither
daran.“
Interessant
ist in diesem Bericht der Hinweis auf den heiligen Leonhard. Dieser Heilige ist
der Schutzpatron des Zugviehs. Daher finden sich in bäuerlichen Gegenden wie im
niederösterreichischen Mostviertel, in Südtirol – Andreas Hofer stammt aus St.
Leonhard im Passeiertal – oder in Oberösterreich häufig Orte, die sich auf den
heiligen Leonhard beziehen. Zu diesen wallfahren bis heute Bauern, um für ihr
Zugtiere, die Ochsen und Pferde, aber auch für ihre Kühe zu beten. Ich fahre
jedes Jahr zumindest einmal nach St. Leonhard im Wald, bei Waidhofen an der
Ybbs. Von dieser alten, schönen gotischen Kirche habe ich einen herrlich Blick
in das Voralpenland von Niederösterreich. Es ist interessant, dass dieses St.
Leonhard auch der Wallfahrtsort der Wiener Fiakerfahrer ist. Da sich die Wiener
Taxifahrer als Nachfolger der Fiakerfahrer sehen, pilgern auch diese zum heiligen
Leonhard dorthin. Wallfahrten dieser Art, die auf vorchristlichen Traditionen
aufbauen, haben auch so etwas wie Magie an sich. Sie passen gut in den Bereich
des Anbrauchens oder Wendens.
Über
das Anbrauchen erzählt mir auch der Tierarzt Dr. Willi Lechner aus Molln:
„Diese
Geißlingskoglerin hat Warzen angebraucht. Ich habe an der Fingerkuppe die ganze
Zeit so ein Geschwür gehabt. Beim Arbeiten ist das immer blutig geworden. Ich
war bei ihr. Sie hat mein Geburtsdatum aufgeschrieben. Einen Monat später waren
die Warzen weg. Der Bruderhoferhüttensohn von Hinterstoder hat auch viele
Warzen gehabt. Das kam so: es waren Burschen bei ihm, alle haben recht gesoffen
und haben eine Gaudi gehabt. Einer der Burschen hat gesagt: ‚Jetzt bekommst du
fünfzig Warzen.’ Einen Monat später hat er wirklich im Gesicht lauter Warzen
gehabt.
Bei
den Viechern haben sie auch angebraucht, zum Beispiel wenn auf dem Euter Warzen
waren. Bei Vollmond haben sie mit ihren Zweigerln die Warzen angebraucht.
Genaueres
weiß ich nicht. Bei vielen hat es geholfen, bei mir hat es geholfen. Die
Anbraucher lassen einen beim Anbrauchen nicht zuschauen. Die Euterwarzen waren
ein Problem, sie haben das Melken behindert, da beim Melken die Warzen aufgehen
und Blut aus ihnen rinnt. Daher musste man die Euterwarzen weg bringen, dies
geschah durch Anbrauchen. In Molln gab es zwei oder drei Leute, die konnten
das, sie erzählten aber nicht, wie es funktioniert.“
Dass
das Anbrauchen bis in letzter Zeit bei den Bauern Bedeutung gehabt haben muss,
schließe ich aus einem Gespräch mit Herrn Dr. Orator. Er erzählt: „Ich war
einmal bei einem Bauern bei einer Geburt. Das Kalbl haben sie nach der Geburt
ins Stroh gelegt und abgerieben. Ich sag zu denen, die das Kalbl abgerieben
haben: ‚Tut ihr es wenden!’ Ich meinte, sie sollen es auf die andere Seite
legen. Darauf sagt die Bäuerin: ‚Halten Sie auch etwas vom Wenden?’ Die Bäuerin
hat mich da falsch verstanden, ich meinte nicht wenden im Sinne von anbrauchen
oder zaubern. Ich habe gesehen, wie ich in der Achtung der Bäuerin plötzlich
gestiegen bin. Ich habe ihr aber dann gesagt: ‚ich meine umdrehen!’ Beim Wenden
oder Anbrauchen sind die Bauern um die Viecher herumgegangen und haben
‚ababaraj´kbabak’ oder solche Sachen gesagt. Dieses Anbrauchen war sehr wichtig
nach der Geburt. Sicher haben sie auch vor der Geburt Ähnliches gesagt.“
Dr.
Orator hält noch etwas fest, das bis in die letzte Zeit bei manchen Bauern
üblich gewesen ist: „Was die Bauern gerne gemacht haben, war das Einziehen der
Sau. Dabei wurde eine Schöllwurzel eingezogen. Das heißt, das Ohr wurde
durchgestochen und durch dieses dann eine Schöllwurzel durchgezogen. Zwei oder
drei Tage später hat die Sau ein rotes Ohrwaschel bekommen, es war hoch
entzündet. Die Schöllwurzel ist rausgeflogen und die Sau hat ein Loch im Ohr
gehabt. Es hat eine große reaktive Entzündung hervorgerufen. Anscheinend wurden
dadurch die Abwehrkräfte angeheizt. Bevor es Antibiotika gegeben hat, hat das
viel geholfen.“
Strategien
und Magie der Wildschützen
Die
alten Wildschützen waren nicht nur gute Bergsteiger, sondern sie kannten auf
Grund ihrer eigenen Erfahrung und der ihrer Vorläufer auch die besten
Strategien, um mit Erfolg zu wildern. Bemerkenswert ist, dass Wildern auch
stets mit Magie verbunden war. Übrigens ist es charakteristisch für
Randkulturen, dass sie zu magischem Handeln neigen, wie Handlesen,
Zaubersprüche und ähnliches. So beschreibt der Jagdschriftsteller Arthur
Achleithner 1915 diverse magische Aktivitäten von Wildschützen und ihren
Beitrag zur Volksmedizin im Ennstal : hatte ein Bergbauer im November ein
freudiges Familienereignis zu erwarten und hatte die Bäuerin Schwierigkeiten
bei der Geburt, so bat der Bauer einen befreundeten Wilderer so schnell wie
möglich einen brunftigen Gamsbock zu schießen. Hatte er einen solchen erlegt,
wurde dessen „Brunftrose“ ausgeschnitten und der Gebärenden in die Hand
gegeben. Dazu musste sie fleißig Honig essen und Heidelbeerschnaps
trinken. Die Geburt würde dann leicht
sein. Vielbegehrt bei den Mädchen, die an Zahnschmerzen litten, war die von
einem Wilderer ausgeschossene Bleikugel, die durch ein Wild gegangen ist. Diese
Kugel legte das Mädchen unter die Zunge, worauf die Schmerzen sich
verflüchtigten. War der Wildschütz jung und hübsch, so sollen seine Küsse
ähnliches bewirkt haben.
In
dem Buch „Die Altausseer“ von Ferdinand von Andrian erzählt dieser vom Ansehen
der Wilderer bei den kleinen Leuten und seinem Pirschgang, der, um erfolgreich
zu sein, geradezu mit magischen Ritualen verbunden ist: “Der Ehrgeiz als
schneidiger frischer Bua zu gelten, und unbezähmbare Jagdlust wirken als Anreiz
zu diesem streng geahndeten Sport, welchen die Bevölkerung (!) niemals als
Diebstahl betrachtet hat. Wie das ´frischnen´ (? – wahrscheinlich : bereit
machen) des Gewehres und das Giessen der Kugeln am Karfreitag stattfindet, ist
der gebräuchlichste Tag für das unerlaubte Waidwerk der Freitag. Entweder schon
am Vorabend oder zur frühesten Morgenstunde bricht der Schütze auf, ausgerüstet
mit kleinem Mundvorrat an Brot, Speck und Schnaps und einer zerlegten (!)
Kugelbüchse. In ihrem Schaft ist ein geweihtes (!) Palmkätzchen und Wurzelwerk
eingeschlossen. Nachdem er ins Freie getreten, betet er entblößten Hauptes fünf
Vaterunser. Gestatten es die Umstände, so wohnt er tags zuvor einer Messe bei und
betet den ´Grausn-Segen´. Dieser lautet: Ò mein Jesus, ich glaube , dass den
Teufel jederzeit ein Grausn angeht, wann ich deinen heiligen Namen Jesu nenne;
und nicht allein den Teufel, sondern alle bösen Geister , die im Himmel und auf
Erden schweben, ein Grausn angeht. Dazu
hilf mir Gott, der Vater, Gott der Sohn und Gott der heilige Geist. Amen´. ...
Der Wildschütz stattet sein Gewehr zur Erhöhung der Schussfestigkeit mit
Amuletten aus. Er hat es nicht gern, wenn jemand mit dem Finger die Mündung des
Laufes auswischt. Ein bisschen dahin gebrachtes Ohrenschmalz hebt die
Treffsicherheit nahezu auf. Andererseits glaubt er an die Treffsicherheit von
verzauberten Kugeln. Diese jedoch müssen zur Mitternacht des Tages der Ladung
auf étwas von Fleisch und Blut´ abgeschossen werden , sonst geht der Schuss auf
den Jäger selbst und überliefert ihn dem Teufel. In einer solchen Gefahr schoss
einst der Grundlseer Schütze Kriag Louis vom Lammersberge aus auf die
Mariensäule bei dem Kirchlein von St. Leonhard und war gerettet“. Und über den Pirschgang des Wilderers , zu
dem auch Aberglauben gehört, erzählt Herr von Andrian weiter: “Rüstigen
Schrittes benutzt der Wilderer die Dunkelheit, um seinem Ziel möglichst
ungesehen nahe zu kommen. Haben sich mehrere verabredet, so treffen sie sich an
einem vereinbarten Platz. Bei Tagesanbruch schwärzt (!) der Schütz das Gesicht
mit Pulver und legt einen falschen Bart an. Um auch gegen etwaiges Erkennen
durch ein Fernrohr geschützt zu sein, zieht er über die Lederhose eine alte Zeughose.
Der Rock wird umgestülpt , desgleichen der Hut.... Die rasche Erlegung eines
Wildes ist Glücksache. Begegnet der Wildbratschütz einer Maus, wird er nichts
erlegen. Stoßt ihm ein Hase auf, so bedeutet dies Unglück.“ Dem echten Wildschütz, dies weiß auch Herr
von Andrian, ist es wichtig, dem Jäger zu entkommen und nur im Notfall zu
stellen :“Es werden mit Anspannung aller Kräfte (vom Wildschütz)
halsbrecherische Aufstiege unternommen, um den Jägern zu entkommen. Ist jedoch eine Begegnung unvermeidlich, sei
es, das weder Klettern noch Abspringen möglich ist oder dass der Schütz
belauert wurde, wie es meistens geschieht, so betet er seinen Grausn-Segen und
macht sich zu einer Schlägerei bereit, in welcher die Bergstecken eine
hervorragende Rolle spielen. Es setzt da wohl ernste Verwundungen ab ... durch
den Graus-Segen soll der Jäger ganz harmlos werden und den Wildschützen laufen
lassen.“
Die
mit dem Wildern verbundene Magie hat eine alte Geschichte. Zu ihr gehört auch
der Glaube, wie ich einmal erfahren habe, dass eine geweihte Hostie, die der
Wildschütz mit sich führt, ihn unverwundbar mache. Die Kugel eines Jägers habe
demnach keine Chance, den Wildschütz zu verletzen. Zu einer geweihten Hostie
kamen Wildschützen dadurch, dass sie , wenn
sie im Gottesdienst zur Kommunion gingen, die Hostie sofort aus dem Mund
nahmen und sie bei sich bargen.
Religion und Magie bei den Bauern
Religiöse und magische Praktiken
bestimmten und bestimmen zum Teil noch das bäuerliche Leben. Trotz modernen
rationalen Denkens haben sich noch alte zum Teil magische Rituale erhalten.
Am bäuerlichen Hof betete man heute
noch immer, wenn unerklärliche Probleme auftauchen, zu einem Heiligen oder man
holt den Pfarrer, der Haus, Hof oder Stall mit Weihrauch oder Weihwasser
segnet. Dazu erzählte mir mein alter
Freund Erwin Degelsegger aus Spital am Pyhrn, ein früherer Holzknecht, eine lustige Geschichte, die allerdings
aus den fünfziger Jahren stammt, von
einem Stier, der zu faul war, um eine Kuh zu schwängern. Der Bauer, dem der Stier
gehörte, meinte, der Stall müsse verhext sein, und bat den Pfarrer, den
Stall mit Weihwasser auszusprengen. Der
Pfarrer kam mit dem Weihwasser zum Stall. Der Bauer stand mit Familie dabei,
während der Pfarrer den Stall mit Weihwasser aussprengte. Nach einigen Wochen
traf der Pfarrer den Bauern und fragte ihn, ob die Kuh trächtig geworden ist.
Darauf meinte der Bauer: „Die Kuh ist
Gott sei Dank trächtig geworden, aber
die Tochter hat auch ein paar Spritzer abbekommen“.
Literatur:
Roland
Girtler, Echte Bauern – Der Zauber einer alten Kultur, Wien 2002
Roland
Girtler, Holt’s den Viechdoktor! - Die
abenteuerliche Welt der alten Landtierärzte, Wien 2009